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Famulatur Bericht - Educandario Magalhaes Bastos

von ZHB

Vom Zahnärztlichen Hilfsprojekt Brasilien e.V. erfuhr ich bereits in meinem ersten Semester bei einer Infoveranstaltung der Fachschaft über Famulaturen im Ausland. Das ZHB begeisterte mich sofort, da es Straßen- und Armenkindern aus brasilianischen Favelas zahnärztliche Grundversorgung bietet. Um jedoch eine Famulatur über das ZHB in Brasilien machen zu können, musste das Staatsexamen absolviert sein. Dies entmutigte mich nicht und ich behielt mein gesamtes Studium über den Gedanken im Hinterkopf, bald in Recife, Brasilien behandeln zu dürfen.

Und dann war es endlich soweit. Das Examen war bestanden, Material-Spenden für den Einsatz gesammelt und die Koffer gepackt, als ich am 18.08.2015 meine Reise nach Recife antrat. Dank diverser Dental Depots, Firmen und nicht zuletzt Ruben Beyer, sowie 20 kg Sondergepäck, welches Condor mir spendete, war ich optimal auf einen fünfwöchigen Behandlungseinsatz vorbereitet.

Auch Grundkenntnisse der portugiesischen Sprache hatte ich mir mit Privatstunden angeeignet. Leider reichte es nicht bis zur Vergangenheitsform, was des Öfteren zu lustigen Missverständnissen führte. Für ein Kind kann es Leben oder Tod bedeuten, ob man sagt „zwei Zähne wurden gezogen“ oder „zwei Zähne werden gezogen“. Zur Vorbereitung sollte man ausreichend Zeit einplanen, um die Sprache sich anzueignen und Spenden zu sammeln. Hierbei ist es sehr wichtig, sich vorher bei den Vorgängern zu informieren, welche Materialien gebraucht werden bzw. welche noch zuhauf vor Ort sind.

Am Flughafen wurde ich dann von der Schwester Oberin Irma Helena Matos und ihrer rechten Hand Irma Dejania abgeholt, die mich sofort sehr herzlich umarmten und willkommen hießen. Da sie schon Erfahrung mit zahlreichen deutschen Zahnärzten hatten, unterstrichen sie jeden Satz mit einer passenden Geste, was mir sehr half die fremde Sprache zu verstehen. Dann fuhren wir durch den dichten Verkehr Recifes zum Educandario Magalhaes Bastos. Dies ist eine Schule des Trägers Misericordia Santa Casa do Recife, welche von sechs Nonnen, sechs Lehrern und zahlreichen Angestellten geleitet wird.

In der integrierten Zahnarztpraxis werden hauptsächlich die Schüler des Educandario, welche zwischen sechs und zwölf Jahren alt sind, von deutschen Zahnärzten (Dentistas) behandelt. Die Kinder kommen aus der Umgebung, in der sozial schwache Familien wohnen. Des Weiteren kümmern sich die Nonnen neben der schulischen Ausbildung, um alleinerziehende Mütter, Kranke und ältere Menschen. Nicht umsonst wird der Nordosten und damit auch Recife, welches im Bundesstaat Pernambuco liegt, das Armenhaus Brasiliens genannt.

In der Praxis fand ich mich schnell zurecht, da meine Vorgänger alles super aufgeräumt und dokumentiert hatten. Leider gab es zunächst Probleme mit der Einheit, die aber ein englischsprechender Techniker schnell auf Vordermann brachte. Die Bedienung des Sterilisators hatte ich auch schnell raus und so konnte es losgehen. Anfangs verschuf ich mir zuerst einen Überblick über alle Kinder. Damit niemand ausgelassen wurde, befundete ich systematisch alle Klassen durch, reinigte und fluoridierte die Zähne.

Außerdem führte ich mit jedem Kind ein Zahnputztraining durch und schenkte jedem eine Zahnbürste und mehrere Zahnpastatuben. Viele Kinder berichteten mir, sie würden fünfmal am Tag Zähne putzen und zwar je acht Minuten. Im Mund sah die Situation jedoch meist nicht dementsprechend aus und als ich mit ihnen drei Minuten lang putzte, zog sich die Zeit dann doch wie Kaugummi für die kleinen Meninos. Dann gingen die Behandlungen los. Mir wurde von Anfang an eine Frau zur Seite gestellt, die mir die Kinder aus den Klassen holen sollte. Später stellte sich Konsinete auch als super Helferin heraus, die mir tatkräftig zur Seite stand beim Saugen, Sachen holen und vor allem beim Kinderberuhigen. Letzteres war leider auch sehr oft nötig, da die Angst vor Spritzen sehr groß war. Manche wollten sogar sich Zähne lieber ohne Anästhesie ziehen lassen, merkten jedoch schnell, dass dies auch keine Option war. Für harte Fälle, die partout die Behandlung verweigerten, kam öfters die Sozialarbeiterin Elsa vorbei, die die Kinder und ihre Familien sehr gut kannte und einen guten Einfluss auf die Kinder hatte. Manchmal halfen auch die Schwestern beim Gutzureden.

Die Kinder nahmen mir jedoch die erduldeten Strapazen nie übel; im Gegenteil dankten sie mir danach immer mit einer Umarmungen. Milchfünfer versuchte ich meist als Platzhalter zu belassen. Einige Zähne bzw. Wurzelreste mussten jedoch gezogen werden. Ansonsten legte ich meist Kompositfüllungen, die ein oder andere Amalgamfüllung und trepanierte oder extrahierte Milchzähne mit positiver Perkussion. Unter anderem sah ich auch sehr viele Fisteln, jedoch waren Wurzelkanalbehandlungen aufgrund eines fehlenden Röntgengeräts nicht möglich. Dies stellte mich leider auch ein paar Mal vor die schwere Entscheidung bleibende Zähne zu ziehen. Manchmal schlich sich auch zwischen den Kindern eine Nonne in meine Praxis und wollte eine Zahnreinigung oder hatte Probleme mit ihrer Prothese. Parallel zu mir, arbeiteten in der Station Santa Teresa in Olinda zwei weitere deutsche Zahnärztinnen. Wir konnten uns gegenseitig besuchen, beratschlagten oft über schwierige Fälle und halfen uns mit Materialengpässen aus.

Wie mir schon in Deutschland von Ruben Bayer vorgeschlagen worden war, besuchten ich zusammen mit den zwei anderen Dentistas die Behandlungsstation Sao Joaquim in Jaqueira, welches 150 km südwestlich von Recife inmitten von Zuckerrohrplantagen liegt. Dort schafften wir gemeinsam innerhalb von einer Woche die Klassen 3 bis 5 komplett zu behandeln und mit den Kleineren Zahnputztraining durchzuführen und zu fluoridieren. Das Fluorid war leider so scharf, dass die Kinder reihenweise in den Hof rannten und dort ausspuckten, was ein lustiges Bild für alle Bediensteten abgab.

In Sao Joaquim gibt es den Zahnarzt Dr. Augusto, der dienstags vormittags uns besuchen kam und zusammen mit uns Amalgamfüllungen, Extraktionen und Vitalamputationen durchführte. Er war supernett, konnte Englisch und hatte einen guten Draht zu den Kindern. So wie alle anderen Angestellten auch, bedauerte er es sehr, dass wir nur eine Woche bleiben konnten. Leider war schon länger kein Zahnarzt mehr dort gewesen und besonders bei den kleineren Kindern sahen wir jede Menge Karies. Wir haben uns dort mit dem Motorista Caetano angefreundet, der uns in unserer knappen freien Zeit die Umgebung zeigte. Wir durften sowohl das kleine Krankenhaus von Jaqueira besichtigen, als auch eine stillgelegte Zuckerrohrfabrik und überall besorgte er uns einen Angestellten, der uns alles erklärte. Die Krönung unseres Aufenthalts dort war am letzten Tag das gemeinsame Tapiokamachen mit Caetano, das im Laufe der Zeit zu unserer Lieblingsspeise geworden war.

Das Leben in den Stationen ist auf einfache Art und Weise komfortabel. Man hat alles was man braucht: Essen, Trinken, Aircondition, Wi-Fi, Kaltwasserduschen und an das Waschbrett zum Wäschewaschen gewöhnt man sich auch schnell. Arbeitskleidung ist vorhanden und wird zusammen mit Handtüchern und Bettwäsche in die Wäscherei gebracht. Sollte mal was fehlen, kann man um die Ecke im Supermarkt einkaufen gehen; in der Dentistas-Wohnung in Magalhaes Bastos befindet sich ein Kühlschrank. Außerdem sind die Nonnen auch immer sehr besorgt um das Wohlergehen der Dentistas. Vielleicht manchmal etwas zu sehr. Einmal gab es Stau, weshalb ich mich abends etwas verspätete und da konnten sie nicht schlafen und haben am Tor auf mich gewartet. Tagsüber springen auf dem ganzen Gelände Kinder herum und egal wo man hingeht von überall hört man: „Dentista, Dentista“, prompt ist eine Kinderschar um einen herum und alle reden gleichzeitig. Eine Herausforderung für das Hörverstehen.

Wenn man am Wochenende verreisen will, hilft einem die Sekretärin gerne mit Taxis und Bussen. Ansonsten sind alle Reiseziele und Anfahrtswege detailliert in einem dicken Ordner der Ehemaligen dokumentiert. Wir waren einmal in Porto de Galinhas und einmal über das verlängerte Wochenende des Nationalfeiertages in Praia da Pipa. Ansonsten haben wir die Wochenenden in Recife verbracht, wo man auch trotz Haien den belebten Strand genießen, Olindas historische Gebäude besichtigen und Sonntags den Feirinha do Recife Antigo, einen Kunsthandwerkermarkt, besuchen kann. Letzterer entwickelte sich zu meinem Lieblingsort in Recife und ich besuchte ihn insgesamt 5-mal.

Die Zeit in Recife war in jeder Hinsicht eine Bereicherung. Die Kinder sind um ein paar Füllungen reicher und um ein paar schmerzender Zähne ärmer geworden, die Nonnen sind um eine weitere Dentista reicher geworden und ich bin um viele neue Eindrücke, Erfahrungen reicher und vor allem an praktischer und menschlicher Fingerfertigkeit gewachsen. Ich kann jedem nur empfehlen vor dem Berufseinstieg als Zahnarzt solch eine Erfahrung zu machen. Danke an alle die mich unterstützt haben!

Charlotte Lagler

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